Die Welt mit Kinderaugen sehen

Gelebte Partizipation – wie die Kinder Gestalterinnen und Gestalter ihrer eigenen Kita werden. 

Ein aussagekräftiges Ereignis aus unserem pädagogischen Alltag, erlebt und erzählt von Barbara aus unserem pädagogischen Fachteam.

Parkplatztrubel bei den Waldkindern. Ankommen. Lachen. Spielen. Die Kinder finden sich im Kreis ein und singen ihr Begrüßungslied. Reihum fängt sich Morgensonne in zarten Kondenswölkchen und fröhlichen, geröteten Gesichtern.  

„Gut, dann gehen wir jetzt los!“ Die Erzieherin will gerade den Kreis beenden, als zögerlich eine Hand in die Höhe geht. „Ja, Emmi?“ 

„Ich möchte heute gern länger am Parkplatz bleiben. Können wir später hochgehen?“ Die Erzieherin sagt nichts. Die Frage geht nicht an sie. Alle sind gemeint. Und die Waldkinder brauchen keine Einladung: „Ich find’s hier auch grad so schön!“ „Ich auch.“ „Wir auch. Wollen wir später hoch? Wer ist dafür?“ 

Ganz unbürokratisch beschließt die Gruppe erst später zum Platz im Wald aufzubrechen. So ist es heute richtig.  
Und morgen? Mal sehen.  

Beteiligung im Kita-Alltag muss nicht kompliziert sein. Im Gegenteil: Sie ist eigentlich so naheliegend. So unscheinbar. Und dennoch so kraftvoll, da wo sie gelingt. Wenn wir von Beteiligung sprechen, meinen wir nicht in erster Linie die großen Projekte und Sonderaktionen. Sondern eigentlich zunächst einmal die Tatsache, dass unsere Kinder wissen: Ich darf meine Meinung haben und sagen. Ich darf meine Vorschläge einbringen, ich darf mitteilen wie ich empfinde. Ich darf Ideen haben. Ich bin ein Teil dieser Gemeinschaft und zwar ein wichtiger!  

Emmi hat sich gemeldet, weil sie genau davon überzeugt ist. Wie unspektakulär ihre Meldung einerseits ist. Und wie bahnbrechend andererseits!  
Ganz unaufgeregt eröffnet sie ihre Perspektive. Ich möchte gerne länger hier bleiben. Noch jemand? Sie transportiert ihr individuelles Empfinden in die Gruppe und bekommt dort ein Feedback dazu.  

Ja, wir finden es hier auch gerade schön. Und ja, lasst uns über deinen Vorschlag abstimmen. Lasst uns zusammen darüber nachdenken, was wir eigentlich wollen und dann eine gute Lösung für uns alle finden. Nicht im Chaos. Nicht im Boykott. Sondern im Dialog. 

Emmi wartet nicht auf die nächste Kinderkonferenz. Sie wird nicht einmal extra gefragt. Aber sie meldet sich und gestaltet mit. Ganz von selbst. Ganz selbstverständlich.  

Wie durch ein Schlüsselloch schenkt uns diese kleine Beobachtung auf dem Parkplatz einen Einblick in die Beteiligungskultur der Einrichtung. Die Selbstverständlichkeit, mit der Emmi ihre Sichtweise vorträgt, ist außergewöhnlich. Wie hoch muss der Grad an Beteiligung und Ernstnehmen sein, damit Kinder unaufgefordert und selbstständig ihre Anliegen vortragen? Wie geübt muss die Gruppe sein, um ohne Erwachsenenzutun kurzerhand die eigentliche Tagesstruktur zu reflektieren und auf den festgestellten Bedarf anzupassen? Wie achtsam die Erzieherin, sich von der Frage nicht angesprochen zu fühlen?  

Das ist wie im Zirkus: Mit bewundernswerter Eleganz führen Artistinnen und Artisten ihre Kunststücke vor. Selbst die schwierigsten Sprünge scheinen federleicht, fast selbstverständlich und sind gerade deshalb so wunderschön anzusehen. Welche Kraft diese Athleten aufbringen ist nur im Ansatz zu erahnen. Die hohe Schule erkennt man eben manchmal auch an der scheinbaren Mühelosigkeit. So auch bei Emmi und den anderen Waldkindern.  

Allerdings: Von nichts kommt nichts. Wer Höchstleistungen vollbringt, hat vorher viel geübt. Wie? 

In unseren Einrichtungen arbeiten wir auf der Grundlage der Naturraumpädagogik. Beteiligung hat hier einen ganz zentralen Stellenwert. Eine Kindertagesstätte, in dem der wichtigste und größte Personenkreis nicht mitgestaltet, können wir uns nicht vorstellen. Die Perspektiven der Kinder sind deshalb der Dreh- und Angelpunkt unseres Kita-Alltags. Wir können und wollen nicht ohne.  

Und das ist er, des Pudels Kern: die pädagogische Haltung. Das ehrliche Interesse. Die aufrichtige (Selbst-)Verpflichtung, Kinder zu achten. Das Vertrauen in ihre Expertise. Die Bereitschaft, sich als Erwachsene*r selbst zurückzunehmen. Wenn Kinder das bei ihren Bezugspersonen erleben, dann teilen sie sich auch mit. Ganz unaufgeregt. Ganz selbstverständlich. Ganz dialogbereit und konsensorientiert, weil alles andere nicht nötig ist.  

Kinderperspektiven einnehmen heißt Kinderwürde ernstnehmen. Kinder sind fühlende und denkende Menschen. Sie haben Empfindungen und Bedürfnisse, Kinder haben Ideen. Und sie haben ein Recht darauf, an- und ernstgenommen zu werden. Dieses Recht erstreckt sich über den ganzen Kita-Alltag, eigentlich über jede Minute ihres Kinderlebens. Es geht nicht nur um einzelne Abstimmungen, es geht ums Mitreden und Gehörtwerden im ganz normalen Alltag. 

Kindliche Mitbestimmung fängt dann schon in den allerkleinsten Alltagsbegebenheiten an und zieht sich durch bis zu den großen Fragen im Gruppen-, Kita- oder auch Weltgeschehen. Kein Thema ist zu banal. Keins ist zu komplex. Wir hören zu und schaffen Raum für den Austausch mit den Kindern, fragen nach ihren Themen und Ideen, diskutieren ihre Vorschläge und finden Wege, um Entscheidungen gemeinsam verstehen und treffen zu können. Altersgerecht begeben wir uns mit den Kindern auf eine Forschungsreise, um herauszufinden, was die Kinder sich wünschen, was ihnen gefällt und was sie gerne verändern möchten.  

So können Kinder ihre Kita-Lebenswelt mitkonzipieren und miterschaffen. Sie sind Gestalter*innen: Menschen die Gefühle und Ideen haben, die mitdenken, an sich glauben und sich für ihre Anliegen einsetzen.  Unsere Kinder haben große Gestaltungskompetenz. Das macht im Hier und Jetzt unsere Arbeit und den Einrichtungsalltag besser. Und auf lange Sicht: Unsere Gesellschaft. Für alle.  

WEITERE SPANNENDE
BEITRÄGE