Im Flow zu Future-Work-Skills

14. November 2024

Kinder lernen auf ihre ganz eigene Art und Weise. Wenn sie in den Flow kommen, gerät das Lernen so richtig in Fahrt. Wie sie sich dabei Future-Work-Skills aneignen und weshalb sich die Erwachsenen da noch viel abgucken können, darüber hat sich unsere pädagogische Gesamtleitung Barbara Gedanken gemacht und diese mit uns geteilt:

Ein Gespräch unter Eltern in der Abholzeit. Er ist mit einer Agentur selbstständig, sie in führender Position eines mittelständischen Unternehmens. Der Selbstständige klagt: „Meine Mitarbeitenden sind so unkreativ! Schon bei der kleinsten Herausforderung sagen sie „Das geht nicht!“ und werfen die Flinte ins Korn. Das kann ich doch meinen Kunden auch nicht sagen?!“. Er rauft sich die Haare, seine Zuhörerin nickt verständnisvoll. Ach ja, die Jugend. Sie habe mit den Berufsanfängern im eigenen Betrieb auch manchmal ihre liebe Not. „Bei mir standen die Azubis in der Mittagspause zu dritt in der Küche, so!“ empört sie sich und demonstriert deren unkommunikativen Fokus auf das eigene Smartphone. „Statt, dass die miteinander reden! Jeder starrt nur auf sein Handy. Wo uns das noch hinführen wird…“ Die beiden machen sich auf den Weg machen, immer noch kopfschüttelnd, aber doch wenigstens immerhin verstanden vom jeweils anderen.

Ich schaue wieder den Kindern beim Spielen zu.  Zwei Buben sammeln vertrocknete Blütenstände. Der Flachs hat es ihnen besonders angetan. An der Spitze der aufrechten Triebe – da, wo im Sommer blassblaue Blüten winkten – streckt er den Kindern nun runde Samenkapseln entgegen.

Sorgsam pflücken die Kinder die braunen Kugeln ab. Wer vorsichtig schüttelt, hört die innenliegenden Samenkörnchen leise rasseln. Die wollen die Kinder ernten. „Die Leinsamen schmecken lecker im Müsli!“ erklären sie mir. Deshalb also der ganze Aufwand.

Sie brechen den Samenbehälter auf und sammeln mit viel Fingerspitzengefühl die kleinen, flachen Kerne heraus. Eine mühsame Aufgabe. Die Kapseln sind fest und die Körnchen so klein und schwer zu greifen. Bis da mal eine nennenswerte Menge zusammenkommt… die Kinder beklagen sich, das dauert zu lang. Das verstehe ich. Ich lade zum Nachdenken ein: „Könnt ihr es irgendwie anders machen? So, dass es leichter geht?“

Der Jüngere bringt einen Stein. Damit lassen sich die Kapseln besser aufbrechen, aber auch diese Methode ist ihnen zu langsam. Neue Idee: „Wir fahren einfach drüber!“ Einer holt ein Fahrzeug, während der andere die Kapseln zu einer langen Spur auslegt. Hochzufrieden fahren die Kinder mehrmals vor und zurück auf ihrer Erntespur, um die Saat auszudreschen. Unter dem Gewicht von Fahrzeug und Fahrer geben die Kapseln leicht nach und brechen. Schon bald liegen überall Spelzen. Dazwischen glänzt die braune Leinsaat in der Sonne.

Während die Buben konzentriert sortieren, fährt ein weicher Windstoß in den Dreschstand und lässt etwas Leinstroh davontanzen. „Schaut mal, der Wind hilft euch!“ freue ich mich. Die Leinsamen bleiben spelzenfrei liegen.  „Wir müssen pusten!“ ruft der Größere begeistert und bläst in eine Handvoll Dreschgut. Die Spelzen fliegen in alle Richtungen davon und lassen erneut die Kerne sauber zurück. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Die Kinder sammeln, dreschen, zerkleinern und pusten weiter, optimieren den Mahlgrad, Luftdruck, Winkel und Abfüllung. Sie leiten sich gegenseitig an, mahnen zur Vorsicht, besprechen die Wirkung der Verbesserungen und einigen sich hinsichtlich Aufgabenverteilung, Ressourceneinsatz und wie, zu guter Letzt, die gewonnene Leinsaat verwendet werden soll.

Meine Gedanken wandern zurück zu den klagenden Eltern von vorhin. Solche Mitarbeitende wie die zwei Buben hier, ja, die bräuchten sie. Wenn Erwachsene Kindern beim Spielen zusehen, honorieren sie häufig vor allem das Naheliegendste: Toll, was die Kinder da über die Leinblume/ Saat und Ernte/ den Jahreskreislauf lernen. Schön, wie sie mit dem Naturmaterial ihre Fein- und Mundmotorik trainieren. Bezaubernd, diese begeistert-konzentrierten Gesichter im weichen Licht der Herbstsonne, was für eine bestärkende Erfahrung. Wie ganzheitlich!

Stimmt alles. Aber da ist ein zweiter, vielleicht noch viel größerer Schatz: In meiner Beobachtung der beiden Kinder kann ich vieles von dem entdecken, was Führungskräfte – und wenn man sich die Ratgeberliteratur so ansieht, dann sind die beiden Eltern aus dem Gespräch nicht allein mit ihrem Problem – offensichtlich bei ihrem Personal vermissen. Wie engagiert die Buben sich mit ihrer Aufgabe auseinandergesetzt, sie analysiert und nach passenden Lösungen gesucht haben! Wie sie drangeblieben sind! Wie sie sich miteinander besprochen haben: ihr Problem beschrieben, Hypothesen gebildet, Lösungen skizziert, konkrete Verfahrensschritte präzisiert und sich schlussendlich bei der Umsetzung angeleitet haben. Wie sie sich gegenseitig inspirieren und zur Mitwirkung gewinnen konnten.  Wie stolz sie auf sich waren. 

Im kindlichen Spielen entsteht eben bei Weitem nicht nur Wissen und Können. Das ist, wenn man einen Vergleich wagen möchte, vielleicht die Eiswaffel: Essbar und lecker, aber nicht die Hauptsache.  Der eigentliche Schatz des Spielens sind die Future-Skills. Kompetenzen, die Kinder für ihr Leben und die wir als Gesellschaft für unser Miteinander brauchen. Die Eiskugel in der Waffel. Der Grund, warum man sich eigentlich überhaupt auf den Weg zur Eisdiele macht.

Future-(Work)-Skills sind Fähigkeiten, die Menschen zukünftig im Arbeitskontext brauchen werden (bzw. mitbringen sollen):

  • analytisches Denken
  • aktives Lernen
  • komplexe Problemlösung
  • Kommunikation
  • kognitive Flexibilität
  • Kreativität
  • kritisches Denken und Analysieren

 

„Die Routine ist vorbei“ prognostiziert der Speaker und Autor Dennis Fischer in seinem jüngsten Buch „Future Work Skills“. Berufstätigkeiten mit einem hohen Anteil körperlicher und kognitiver Routine würden in den nächsten Jahren von Robotern und KI übernommen, während die Technik den Menschen in Nicht-Routine-Aufgaben nur schwerlich ablösen könne. Der Markt ist voll von Seminaren und Literatur rund um die geschätzten Skills. Beschäftigte sollen sich „fit für den Job der Zukunft“ machen. Arbeitgeber*innen und HR-Verantwortliche werden dabei an die Hand genommen, die Future Skills ihres Personals zu „erfassen, zu analysieren und zu bewerten“, dies ermögliche „eine gezielte Entwicklung der Future Skills“.

Ist das der Weg? Entwickeln Menschen Future Skills, indem man sie erfasst, analysiert und bewertet? Vielleicht könnten Erwachsene das ja einfach genauso üben wie die Kinder?

Im Spiel. Im Miteinander. In der Natur. Im Flow. 

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