So, das kommt jetzt in die Pfanne

Levi steht mit grünen Blätterschnipseln am Kochfeld, im Begriff sie vom Brettchen in den Topf zu schieben. Diese Zutat sieht irgendwie komisch aus.

Ich: „Was hast du da?“ Er: „Meine Narzisse.“

Eine aussagekräftiges Ereignis aus unserem pädagogischen Alltag, erlebt und erzählt von Barbara aus unserem pädagogischen Fachteam.

Ich sehe mich um: Die zierliche Tête-à-Tête auf der Fensterbank steht blank und blätterlos. Ich glaube nicht, dass man sie essen kann. Er schon. Wir schauen via Smartphone im Internet nach. Narzissen enthalten Lycorin. Wenn man sie isst, wird einem mindestens schlecht. Was Lycorin genau ist, will der Vierjährige wissen. Wir fragen nochmal bei Siri und hören von Alkaloiden. Und weil Levi sich auch dafür interessiert, die Wikipedia-Erklärung aber unmöglich zu verstehen ist, bitten wir einen Chemiker-Papa aus der Nachbargruppe um Rat. Levi lauscht der Videobotschaft, das ernste Gesichtchen nickt. Der Fachmann hat sich Mühe gegeben. Die Frage ist beantwortet.

„Und alles nur wegen meiner Narzisse.“ schließt er seine Nachforschungen ab und dankt dem kahlen Pflänzchen mit einem zärtlichen Blick.

Mich berührt dieses Nachfragen. Da ist keine Scheu vor komplizierten Sachverhalten, kein „Das verstehe ich sowieso nicht.“ Kinder können noch Fragen stellen. Echte, offene Fragen. Fragen, die jeder Antwort gewachsen sind. Kinder bilden sich selbst. Schon oft gehört, aber: Wie sieht denn diese Selbstbildung aus? Unsere verkopfte, durchorganisierte Erwachsenenwelt meint ja so oft, dass wir Großen diejenigen sein müssten, die Kindern die wirklich wichtigen Dinge lehren. Vielleicht, weil uns selber oft keine Fragen mehr einfallen. Vielleicht, weil wir meinen schon alles zu wissen. Kinder sind da anders. Sie begegnen der Welt und haben Ideen. Und Fragen. Hunderte. Hier in unserem Beispiel: Was gehört noch in dieses Essen? Kräuter? Was kann ich nehmen? Die Narzisse? Kann man die essen? Nein? Warum nicht? …tja, und schon sind wir ganz tief drin in der organischen Chemie.

Das ist Naturraumpädagogik. Kinder begegnen ihrer Umwelt, haben Ideen und stellen Fragen. Wir Erwachsenen sind Bildungsbegleiter. Wir laufen sozusagen neben den Kindern her. Wir begleiten sie auf der Suche nach Antworten und helfen ihnen wo nötig (zum Beispiel, in dem wir rechtzeitig verhindern, dass sie ungenießbare Pflanzen essen oder indem wir wissen, wen man dazu befragen könnte). Ihre Themen allerdings finden die Kinder selbst. In der Begegnung mit der Umwelt. In der Natur, am besten im großen, wilden Draußen. Und in sich selbst.

Wenn diese beiden aufeinandertreffen, schlagen sie Fünkchen. Kleine Inspirationen, die dazu taugen ein echtes Feuer anzufachen. Wenn Kinder etwas tun, wenn sie etwas verstehen oder erreichen wollen, sind sie unglaublich ernst bei der Sache. Levi wollte keine MINT-Bildungsziele abhaken, er hat nicht nachgefragt, weil unsere Gesellschaft Wert auf naturwissenschaftliches Forschen in der frühen Kindheit legt. Sondern einfach deshalb, weil es ihn selber in diesem Moment interessiert hat. Und nur deshalb ist die Information für ihn relevant. Nur deshalb bleibt sie ihm im Gedächtnis, wird zur „nachhaltigen Bildung“. Aber der Zauber geht noch weiter: Wenn es uns gelingt, Kinder in ihren Fragen ernst zu nehmen, wenn wir einfühlsame Bildungsbegleiter*innen sind, dann lernen sie nicht nur Sachinhalte. Die sind wichtig, aber sie sind nicht alles.

Dieses Lernen prägt, sozusagen als Bonus-Leistung, gleichzeitig auch das Bild des Kindes von sich selbst. Und es bestimmt die Art und Weise, wie es zukünftig mit Herausforderungen, mit sich und seiner Umwelt umgehen wird.

Levi hat an diesem Tag gelernt:  Narzissen kann man nicht essen. Ich weiß sogar, warum.

Und: Meine Fragen sind wichtig. Jemand nimmt sich Zeit, um mit mir die Antworten zu finden, denn: ich bin wichtig. Ich bin wer. Ich kann was.

Er wird wieder fragen. Ganz sicher.

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